Interview mit Gianmarco Sironi Interview mit Gianmarco Sironi | HBM

Advanced Air Mobility und ihre Herausforderungen

Seit Jahrzehnten liefert HBK End-to-End-Lösungen für Messung und Datenanalyse in Tests in der Luftfahrt wie Struktur-, Antriebs- (Gasturbinen, Elektrik), Thermo-, und Akustiktests sowie Untersuchungen im Flug.

Die hochqualifizierten und erfahrenen HBK-Anwendungsexperten arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen. Sie kennen die Luft- und Raumfahrtindustrie, die Konstruktions- und Validierungsprozesse, Trends und Herausforderungen wie Advanced Aircraft Mobility (AAM, auch UAM oder eVTOL genannt).

Um Ihnen zu helfen, das HBK-Team für Luftfahrtanwendungen kennenzulernen - wer sie sind und warum sie Ihnen die passende Unterstützung bieten können, nicht nur für klassische Flugzeuge, sondern auch für Start-up-Kunden, die auf AAM-Lösungen abzielen -, haben wir unseren Experten für das Testen von Luftfahrzeugen, Gianmarco Sironi, von unserem HBK-Team für kundenspezifische Lösungen interviewt.

Interview

Gianmarco, Sie arbeiten seit 2016 für HBK (ehemals HBM) und wickeln globale Test- und Messprojekte für Kunden aus der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigung ab. Bevor Sie Projektleiter für das Testen von Luftfahrzeugen bei HBK wurden, haben Sie für einen bekannten Hubschrauberhersteller gearbeitet. Wie hat sich Ihre berufliche Rolle verändert? Kommt Ihnen Ihre zusätzliche Berufserfahrung bei den heutigen Arbeitsaufgaben zugute?

„Mein Wechsel von einer Teamleiter- zu einer Projektleiterrolle war eine der befriedigendsten Herausforderungen meines Berufslebens. Die technischen Erfahrungen, die ich in meiner vorherigen Position sammeln konnte, haben sich oft als wertvoll erwiesen, um Kundenbedürfnisse zu analysieren und die bestmögliche Antwort auf die Projektanforderungen zu formulieren."

Haben Unternehmen, die AAM entwickeln, eine andere Entwicklungs- und Validierungsphilosophie als beispielsweise ein traditioneller Hubschrauberhersteller?

„Auf der Flugsteuerungsseite gibt es einige signifikante technische Unterschiede zwischen den für die Urban Air Mobility (UAM - städtische Transportsysteme im Luftraum) entwickelten eVTOL-Konzepten und einem traditionellen Drehflügler. Das Manövrieren und Steuern von Hubschraubern basiert auf Taumelscheiben zur Rotorblattverstellung. Daraus ergibt sich eine komplexe Kinematik, bei der alle Teile starken mechanischen Belastungen ausgesetzt sind. Zur Sicherstellung der Dauerfestigkeit muss jedes rotierende Teil einzeln getestet und validiert werden.

Neue Konzepte für städtische Transportsysteme im Luftraum basieren auf mehreren Elektromotoren. Manövriert wird in den meisten Fällen durch die individuelle Steuerung jedes Triebwerks, wodurch eine Komplexitätsschicht durch die Kinematik des Rotors entfällt. Dies wird mit Sicherheit neue Anforderungen an die Validierung der Konstruktion stellen. Zur Sicherstellung der erforderlichen Betriebsfestigkeit werden einige Strukturtests wahrscheinlich durch intensive Prüfungen und Belastungen der Elektromotoren ersetzt. Hier ist unsere Lösung für die dynamische Leistungsanalyse, eDrive, die beste ihrer Klasse. Zudem wird die Validierung ausfallsicherer Optionen erforderlich sein; also Fragestellungen wie beispielsweise mit wie vielen nicht betriebsfähigen Triebwerken ich noch einen normalen Flug sicherstellen kann oder wie viele funktionsfähige Triebwerke ich für eine kontrollierte Notlandung benötige und so weiter.

Ich glaube auch, dass die Validierung des Rumpfes und der meisten Bauteile weiterhin auf der Abschätzung und Messung externer Lasten und ihrer erfolgreichen Reproduktion auf Prüfständen beruhen wird. Dies bedeutet, dass gute alte Strukturprüfungen, wie wir sie bereits kennen, uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben werden."

Welche Art von F & E-basierten Testeinrichtungen und Messgeräten sehen Sie bei AAM-Herstellern?

„Im Vergleich zu herkömmlichen Flugzeug- und Hubschrauberherstellern müssen eVTOL-Hersteller Einrichtungen für elektrische Leistungstests und Batterie- oder Brennstoffzellenprüfungen einrichten.

Dann wird es natürlich die üblichen Prüfstände für Strukturtests und Validierungen geben, aber dies könnte auch von externen Partnern durchgeführt werden. Ein einziges Partnerunternehmen zu haben, das die Mess- und Prüfanforderungen all dieser Arten von Prüfungen erfolgreich erfüllen kann, wird sicherlich von Vorteil sein."

Was sind die einzigartigen Herausforderungen von AAM?

„Ich habe bereits eines erwähnt, nämlich das einzigartige Manövrier- und Steuerungskonzept, das auf einer Architektur mit mehreren Triebwerken basiert. Dies wird einige erhebliche technische Herausforderungen mit sich bringen, auch für die Validierung und Tests.

Selbstverständlich gibt es noch andere kritische Aspekte. Diese Luftfahrzeuge sind hauptsächlich auf die urbane Mobilität ausgerichtet und sollen daher in dicht besiedelten Gebieten fliegen, eine Bedingung, die ein Höchstmaß an Sicherheit und Redundanz erfordert. Nur um Ihnen eine Idee zu geben – in Europa dürfen im Moment einmotorige Hubschrauber nicht über städtisches Gebiet fliegen, was bedeutet, dass die Hersteller aufgefordert sein werden, die Einhaltung höchster Sicherheits- und Redundanzstandards nachzuweisen. Ich erwarte einen starken Fokus auf ausfallsicheren Betrieb.

Die Sicherheit im Falle eines Absturzes wird ebenfalls sehr wichtig sein, da eine Reihe von Batterien an Bord sein werden. Der untere Rumpfbereich ist größtenteils so dimensioniert, dass er im Falle eines Absturzes Schutz bietet; durch das zusätzliche Vorhandensein von Batterien kommt jedoch hinzu, dass für diesen Fall ein sicheres Behältnis für die Batterie erforderlich sein wird. Dies wird in gewisser Weise mit der faktischen Notwendigkeit eines Sicherheitsbehälters für Kraftstoff vergleichbar sein, jedoch neue und interessante technische Herausforderungen mit sich bringen."

„Die Luftfahrt ist unsere Leidenschaft und wir arbeiten wirklich gerne an diesen Projekten, wobei wir die Ziele des Kunden zu unseren eigenen machen."

Gianmarco Sironi, HBK-Experte für Tests von Luftfahrzeugen

Ab wann sehen Sie eine FAA- oder EASA-Musterzulassung?

„Es gibt noch einiges zu tun, die Regulierungsbehörden nehmen diese neue Entwicklung jedoch mit Sicherheit sehr ernst. Es ist nicht einfach, Richtlinien für die Flugtauglichkeit von etwas zu formulieren, das eine völlig neue Art des Fliegens darstellt. Ich denke, dies wird eine Weile dauern und es wird ein iterativer Prozess sein. Die EASA verfolgt den Ansatz, einen neuen Rechtsrahmen speziell für diese Art von Luftfahrzeugen zu schaffen, während die FAA daran arbeitet, ihren Teil 23 (Small Airplane Certification) für die Zertifizierung von eVTOLs anzupassen. Dies kann zu einer Zerreißprobe werden. Wenn die Regulierungsbehörden weiterhin eigenständig vorgehen, ohne ihre Ansätze zu harmonisieren, werden wir hinsichtlich der in der EU und den USA entwickelten eVTOL-Konstruktionen möglicherweise deutlich unterschiedliche Prozesse und Anforderungen sehen, was dazu führen könnte, dass die Erlangung der doppelten Musterzulassung im Vergleich zu dem, was bei den heutigen herkömmlichen Flugzeugen und Drehflüglern passiert, deutlich schwieriger werden könnte.

Es könnte sogar sein, dass ein in Europa entwickeltes eVTOL-Design wesentliche Modifikationen und zusätzliche Validierungen erfordert, um in den USA zu fliegen und umgekehrt."

Was sind die drei wichtigsten Dinge, die bei der Musterzulassung von Flugzeugen zu beachten sind?

„Zuerst einmal ist eine gute und offene Kommunikation mit der Regulierungsbehörde erforderlich. Dies kann viel Ärger und mögliche Missverständnisse vermeiden. Der Zertifizierungsprozess ist ein echter Dokumentenmarathon - es gibt eine Menge technischer Dokumentation, und ein nahtloser Informationsfluss ist wichtig, um die Dinge schnell erledigen zu können. Probleme in der Kommunikation kosten Zeit und Geld.

Kommunikation ist wichtig, da das Unternehmen der Zertifizierungsstelle genau zuhören und verstehen muss, wo die Aufsichtsbehörde am meisten Sicherheit wünscht. Dann können Sie entscheiden, wo Sie Ihre Test- und Validierungsbemühungen konzentrieren möchten, um den Einsatz von Zeit und Ressourcen zu optimieren.

Darüber hinaus würde ich empfehlen, flexibel zu sein. Sie können nicht erwarten, dass bei der Zertifizierung von Luftfahrzeugen alles so läuft wie geplant. Es wird immer Unannehmlichkeiten und Änderungswünsche geben. Auf Änderungen zu reagieren und bereit zu sein, Tests bei Bedarf schnell neu zu organisieren oder zu wiederholen, ist ein großer strategischer Vorteil für ein Unternehmen. Hier macht es wirklich einen Unterschied, wenn man die passende Testausrüstung und einen reaktionsschnellen Partner hat."

Es besteht ein großer Druck, die Markteinführungszeit zu verkürzen, da die Stakeholder Ergebnisse und ihre Vision verwirklicht sehen möchten. Wie kann ein Anbieter von Lösungen für die Datenerfassung und Analyse wie HBK dazu beitragen, Tests zu beschleunigen?

„Ich würde sagen: in vielerlei Hinsicht. Das erste, was mir in den Sinn kommt, ist Datensicherheit und Vertrauen in die Messungen. Das Worst-Case-Szenario für ein Testlabor besteht darin, in eine Lage zu geraten, in der die erfassten Testdaten vom internen/externen Kunden oder (noch schlimmer) von der Aufsichtsbehörde in Frage gestellt werden. Das wäre schlecht und könnte zu einer offiziellen Aufforderung zur Wiederholung der Tests führen, was nicht nur einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtprojektplan hätte, sondern auch einen großen Schlag für die Moral bedeuten und Frustration im gesamten Team verursachen würde. Das ist ein wahrer Albtraum für eine Labororganisation und sollte um jeden Preis vermieden werden.

Wir als HBK blicken auf eine starke Erfolgsgeschichte in der Luft- und Raumfahrt und unsere Messgeräte sind auf diesem Markt bekannt. Unsere Hardware entspricht den höchsten Standards und kann selbst den akribischsten Auditoren standhalten. Wir beantworten jede technische Anfrage und unterstützen unsere Kunden auch bei anspruchsvollsten Prozessen.

Dann ist da noch unser Fachwissen. Ich kann mir kein Unternehmen in diesem Bereich vorstellen, das die Menge an Erfahrung und Wissen bietet, über die wir verfügen. Wir sind Domain-Experten für die gesamte Mess- und Datenanalysekette - von Sensoren in der mechanischen Welt zur Messung von Dehnung, Kraft, Beschleunigung/Schwingung, Drehmoment und Geräusch oder der elektrischen Welt zur Messung von Spannung, Strom und Temperatur mit hoher Gleichtaktunterdrückung, bis hin zur Elektronik, die alle Sensoren und Datensignale erfasst und Echtzeitanalyse und -integration bietet und schließlich der Software für Datenerfassung, Analyse und Zusammenarbeit - ein komplettes Ökosystem. Wir verfügen über eine ausgezeichnete neue Plattform für die elektrische Leistungsprüfung und die passende Lösung für Tests der strukturellen Integrität - im Grunde genommen sind wir eine zentrale Anlaufstelle.

Wir kennen die Anwendungen sehr gut und unsere Kunden vertrauen uns als Partner, der hohe Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft bietet. Und zu guter Letzt ist die Luftfahrt unsere Leidenschaft und wir arbeiten wirklich gerne an diesen Projekten, wobei wir die Ziele des Kunden zu unseren eigenen machen."

Eine persönliche Frage: Was wäre der erste Flug, den Sie für einen AAM-Service buchen würden, wenn dieser verfügbar ist?

„Hier muss ich versuchen, neutral zu bleiben. Ich persönlich mag die vielen technischen Konzepte, die gerade in der Entwicklung sind. Das erinnert mich an die Pionierzeiten in der Luftfahrt.
Es gibt so viele verschiedene Design- und Antriebskonzepte, dass ich überzeugt davon bin, dass all diese Energie, Bereitschaft und Begeisterung für die Entwicklung zu etwas Gutem führen wird, und die Chancen, dass AAM eine starke Stellung in der Luftfahrt einnehmen wird, sind sehr hoch. Durch drastische Kostensenkungen wird AAM mit Sicherheit das Flugtraining revolutionieren.

Aber wenn ich mich wirklich entscheiden muss, ist mein Traum vorerst immer noch, in einem großen, leistungsstarken, schweren Hubschrauber mit zwei Rotoren zu fliegen.“

Gianmarco, besten Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch

Fragen? Wenden Sie sich an Gianmarco Sironi

Wir unterstützen Sie gerne, falls Sie Fragen zum Thema Advanced Air Mobility haben.

Gianmarco Sironi ist einer der Anwendungsexperten von HBK für die Entwicklung und Validierung von Luftfahrzeugen. Seine Kenntnisse eignete er sich durch 10 Jahre direkte Erfahrung im Bereich der Entwicklung und Prüfung von Senkrechtstartern an. Seit seinem Eintritt bei HBK hat er viele globale Projekte für die Luftfahrtindustrie erfolgreich gemanagt.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Gianmarco.