Belastungsanalyse für Kraft-Momenten-Sensoren Belastungsanalyse für Kraft-Momenten-Sensoren | HBM

Schritt für Schritt: Belastungsanalyse für Kraft-Momenten-Sensoren

Die Auswahl eines geeigneten Aufnehmers scheint auf den ersten Blick oftmals einfach: Was soll überhaupt gemessen werden und in welchem Größenbereich liegt die zu messende Größe ungefähr? Doch es spielen noch ein paar Punkte mehr eine Rolle. Hat man Antworten auf diese beiden Fragen gefunden, ist der nächste Schritt, sich Gedanken über die Belastungsgrenzen des Aufnehmers zu machen. Im Folgenden wollen wir uns näher damit beschäftigen, was bei einer Betrachtung der zulässigen Belastungen zu beachten ist, welche Besonderheiten es gibt und wie eine Abschätzung sinnvoll durchgeführt werden kann.

Datenblattangaben und ihre Zusammenhänge

Schaut man in das Datenblatt eines mehrachsigen Kraft-/Momenten-Sensors, z.B. in das des HBK MCS10, finden sich eine Reihe an Angaben zu maximal zulässigen Kräften, Momenten oder einzuhaltenden Kriterien (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2). Diese können bei anderen Herstellern oder Typen variieren. Sie tragen jedoch immer als Qualitätsmerkmal entscheidend dazu bei den am besten passenden Aufnehmer für die Anwendung zu finden.

Beim Studieren der aufgeführten Angaben finden sich einige Begriffe, die genauer erklärt und in Zusammenhang gebracht werden müssen:

  • Nennkraft bzw. Nennmoment
  • Grenzkraft bzw. Grenzmoment
  • Bruchkraft bzw. Bruchmoment
  • Lastverhältnissumme; Load-Ratio-Sum (LRS)
  • Kriterium bei mehrachsiger Belastung für…
    • Nennmessbereich
    • Dauerfestigkeitsbereich
      • Schwellende Belastung
      • Wechselbelastung
    • Statischen Belastungsbereich
    • Bruchfreien Bereich

Wie die einzelnen Begriffe zusammenhängen, wird am besten deutlich, wenn man sich überlegt, welche Belastungsarten es geben kann, und wie diese sich gliedern lassen. Abbildung 3 zeigt ein Flussdiagramm, das die Belastungsarten sowie die dazugehörigen Grenzen bzw. Kriterien miteinander verknüpft. In ausgewählten Anwendungen sollten neben den hier gezeigten mechanischen Belastungen auch weitere Belastungen – zum Beispiel aufgrund von Temperatur oder anderen Umwelteinflüssen – beachtet werden. In den meisten Fällen ist dies jedoch nicht nötig oder im Zweifel einfach und schnell zu klären.

Für jeden Fall, egal ob einachsig oder mehrachsig, ob statisch oder dynamisch, ob schwellend oder wechselnd finden sich also Prüfkriterien, die angewendet werden sollten, um einen sicheren Betrieb des Sensors zu gewährleisten.


Interaktive Anleitung

Diese interaktive Anleitung zur Belastungsanalyse hilft in Kombination mit den Angaben aus dem Aufnehmer-Datenblatt dabei, abzuschätzen, ob der Sensor für die Belastung geeignet ist. Wählen Sie einfach die zutreffenden Optionen aus.

Download

Hier können Sie die Anleitung als druckbares PDF herunterladen.


Einachsige vs. mehrachsige Belastung

Einachsige Belastung liegt dann vor, wenn der Aufnehmer tatsächlich nur Belastungen in einer Richtung des Koordinatensystems oder um eine Achse erfährt. Sobald eine weitere Belastung, egal ob Kraft oder Moment, dazu kommt, spricht man von mehrachsiger Belastung. Maximal können gleichzeitig bis zu sechs Belastungen auftreten: drei Kräfte Fx, Fy, Fz und drei Momente Mx, My, Mz.

Ganz allgemein führt eine von außen anliegende Belastung im Messkörper des Sensors zu einer mechanischen Spannung. Bei mehrachsigen Belastungen liegt die Aufgabe darin, diese zusammenzufassen, um sie einem einzelnen Prüfkriterium gegenüberstellen zu können. Dies erfolgt hier durch Berechnung der Lastverhältnissumme, Load Ratio Sum (LRS):

In diese Formel gehen alle vorhandenen Lasten, die zulässigen Nennlasten sowie die vier Korrekturfaktoren ein. Diese finden sich ebenfalls im Datenblatt des MCS10 (siehe Abb.2).

Statische vs. dynamische & schwellende vs. wechselnde Belastung

Von statischer Belastung spricht man, wenn diese über die Zeit gleichbleibend ist, also konstant und nicht veränderlich. Von dynamischer Belastung hingegen spricht man, wenn die Belastung über die Zeit variiert, also inkonstant ist. In vielen Anwendungen gibt es bei statischen Lasten Be- und Entlastungsvorgänge: Bis zum Erreichen der statischen Last erhöht sich diese also dynamisch und verringert sich beim Entlasten wieder dynamisch. Oftmals lassen sich diese Anwendungen rein statisch betrachten, im Zweifel kann es aber auch sinnvoll sein das Be- und Entlasten als einzelne dynamische Lastfälle zu betrachten.

Innerhalb der dynamischen Belastung unterscheidet man weiter zwischen schwellender und wechselnder (oder auch alternierender) Belastung. Entscheidend ist hier, dass bei schwellender Belastung keine Umkehr der Belastungsrichtung stattfindet. Es wird also nur weniger stark und schwach auf den Aufnehmer gedrückt oder gezogen bzw. nur weniger stark und schwach um eine Achse in eine Richtung gedreht. Bei wechselnder Belastung hingegen wechseln sich Zug- und Druckkräfte beziehungsweise rechts- und linksdrehende Momente ab. Dies wird auch in einer Vorzeichenumkehr der Belastungen verdeutlicht.

In Abbildung 4 sind beispielhaft Lastverläufe für diese drei Fälle über der Zeit dargestellt. Das Prüfkriterium für wechselnde Lasten ist das schärfste, da diese die größte Belastung für den Aufnehmer darstellen.

Nenn-, Grenz-, Bruchlast

Die Unterscheidung dieser drei Belastungsgrenzen ist nicht besonders schwierig, aber essenziell für einen sicheren Einsatz eines Aufnehmers. Bis zum Erreichen der Nennlast sind die technischen Spezifikationen des Aufnehmers garantiert. Darüber hinaus, allerdings nur bis zur Grenzlast, können die Spezifikationen nicht mehr garantiert werden. Lasten in diesem Bereich sind aber dennoch zulässig und fügen dem Sensor keinen Schaden zu, solange sie nicht zu häufig auftreten. Wird die Last weiter erhöht und befindet sich im Bereich zwischen Grenzlast und Bruchlast, wird der Messkörper so stark verformt, dass er dauerhaft beschädigt wird, was den Aufnehmer für weitere Messungen unbrauchbar macht. Eine weitere Erhöhung der Last, über die Bruchlastgrenze hinaus, wird zum Bruch des Aufnehmers führen. Wichtig zu beachten ist, dass diese Lastbereiche nur für den einachsigen und statischen Belastungsfall gelten.

Besonderheiten und mögliche Versäumnisse

Ein vielleicht trivialer, aber gelegentlich übersehener Punkt ist, dass ein Sensor Belastungen in alle sechs Richtungen standhalten muss, auch wenn diese messtechnisch nicht erfasst werden. Setzt man zum Beispiel einen dreikanaligen Kraft-Sensor (Fx, Fy, Fz) ein, muss dieser natürlich auch auftretenden Momenten standhalten – selbst wenn diese nicht gemessen werden. Dabei ist es egal, ob diese Momente direkt als Drehmomente eingeleitet werden, oder ob sie sich aus einer wirkenden Kraft und dem Hebelarm vom Krafteinleitungspunkt zum Koordinatenursprung ergeben.

Letzteres führt zu einer weiteren Besonderheit: Die Lage des Koordinatenursprungs beim MCS10 ist in der Mitte des Messkörpers. Greift also direkt an der Messkörperoberfläche eine Kraft Fx,1 an, ergibt sich mit dem Hebelarm lh (halbe Aufnehmerhöhe) bereits ein Moment My. Wird die Kraft nun womöglich durch einen Testaufbau weiter vom Sensor entfernt eingeleitet, wird der Hebelarm zu lh + l und zusammen mit der Kraft Fx,2 ergibt sich ein größeres Moment My. Aus diesem Grund sollten die Kräfte immer möglichst nah am Sensor eingeleitet werden und bei längeren Hebeln sollte eine genaue Betrachtung erfolgen.

Praktische Anwendung

Nachdem nun die verschiedenen Belastungsarten, Grenzwerte und Kriterien beleuchtet sind, stellt sich die Frage, wie die Einschätzung der Belastung für einen Aufnehmer in einer Applikation am besten vorgenommen werden kann. Mit der Zeit hat sich folgendes Vorgehen als praktikabel erwiesen:

  1. Auswahl nach Nennlasten
  2. Bestimmung aller maximal auftretenden Lasten
  3. Definieren von Lastfällen
  4. Betrachtung der einzelnen Lastfälle
  5. Gesamtbeurteilung

Auswahl nach Nennlasten

In den allermeisten Fällen sind die zu messenden Richtungen sowie eine betragsmäßige Abschätzung der Nennlasten bekannt. Anhand dieser wählt man einen Sensor aus.

Bestimmung aller auftretenden Lasten

Aus den in der Anwendung maximal auftretenden Lasten sowie der geometrischen Anordnung (Moment = Kraft x Hebelarm) ergeben sich für jede Belastungsrichtung die maximal auftretenden Lasten. Es ergibt Sinn diese nicht nur als Betrag, sondern mit Vorzeichen zu notieren. Diese Aufgabe ist oft zeitaufwändig; gerade dann, wenn die Aufbauten und Kräfteverhältnisse komplexer werden. Sie ist jedoch Grundlage für eine verlässliche Beurteilung und daher notwendig.

Neben den maximalen Belastungen können jedoch auch weitere Belastungen relevant sein. Gerade dann, wenn es sich um eine andere Belastungsart handelt. Ist die maximale Belastung zum Beispiel statisch, eine etwas geringere Belastung aber wechselnd dynamisch, müssen beide Fälle untersucht werden.

Definieren von Lastfällen

Oftmals treten nicht alle Belastungen gleichzeitig auf. Es gibt vielleicht einen Regelbetrieb, in dem zwei Kräfte sowie ein Moment auftreten und einen Betrieb beim Starten und Stoppen der Anwendung, bei dem eine andere Kraft auftritt. Um diese Situationen getrennt voneinander zu betrachten, macht es daher Sinn diese in getrennte Lastfälle zu unterteilen und dann jeden Lastfall einzeln zu untersuchen. Das Erstellen einer tabellarischen Übersicht ist hier ratsam.

Betrachtung der einzelnen Lastfälle

Abbildung 3 hilft in diesem Schritt den korrekten Grenzwert bzw. das korrekte Kriterium zu finden um die einzelnen Lastfälle zu untersuchen. Für jeden Lastfall wird nun die vorliegende Belastung mit der Grenze bzw. die für diesen Fall berechnete LRS mit dem jeweiligen Kriterium verglichen und bewertet. Um die LRS nicht jedes Mal händisch ausrechnen zu müssen, findet sich hier eine Tabellenkalkulation als Vorlage zum Dowload. Damit lässt sich dieser Schritt automatisiert durchführen.

Gesamtbeurteilung

Sind die oben beschriebenen Schritte ausgeführt, ergibt sich im besten Fall eine Tabelle mit ausschließlich positiven Ergebnissen der einzelnen Lastfälle. In dieser Tabelle macht es Sinn nicht nur OK oder Nicht-OK zu notieren, sondern ruhig das genaue Ergebnis. So wird schnell ersichtlich, ob eventuell ein vom Messbereich unpassender Aufnehmer gewählt wurde oder ob alle Ergebnisse stimmig sind

Fazit

Die Auswahl und Bewertung eines Mehrkomponentenaufnehmers sind nicht trivial. Geht man dabei jedoch Schritt für Schritt vor und legt sich ein einen Ablaufplan zurecht, lässt sich das Thema durchaus übersichtlich und mit einer verlässlichen Aussage als Ergebnis bearbeiten.