Interview: MGCplus Messverstärkersystem damals und heute Interview: MGCplus Messverstärkersystem damals und heute | HBM

Im Interview: MGCplus-Entwickler Manfred Kreuzer und Tim Sander

Das Datenerfassungssystem MGCplus von HBM ist seit über 25 Jahren erfolgreich auf der ganzen Welt im Einsatz. Eine Seltenheit für Elektronik-Produkte. Nun hat MGCplus mit dem neuen Kommunikationsprozessor CP52 eine Überarbeitung bekommen. Zu diesem Anlass haben wir Manfred Kreuzer und Tim Sander zum Interview getroffen.

Der eine war maßgeblich an der Erfindung von MGCplus beteiligt – und blickt zurück auf eine technologisch brisante Anfangszeit. Der andere sorgt bei der Entwicklung des neuen Kommunikationsprozessors dafür, dass das System auch in Zukunft den Stand der Technik spiegelt. Darüber – und natürlich auch über die zwei Jahrzehnte dazwischen – haben wir mit den beiden gesprochen.


"MGCplus ist ein beinahe einmaliges Produkt"

Herr Kreuzer, eine Ihrer wichtigsten Entwicklungen war das Messverstärker-System MGCplus, das sich in den vergangenen 25 Jahren in der Messtechnikwelt einen Namen gemacht hat – und noch heute aktuell ist. Was verbinden Sie mit diesem Produkt?

Manfred Kreuzer: MGCplus ist ein beinahe einmaliges Produkt. Wo gibt es das schon, dass ein elektronisches Gerät 27 Jahre lang überlebt? 27 Jahre übrigens deshalb, weil ich die erste Version mitrechne, die noch kein „plus“ im Namen hatte.

Damals war der Verstärker eins Ihrer großen Entwicklungsprojekte – seitdem haben Sie auch viele andere Produkte betreut. Interessieren Sie sich heute noch dafür, wie es mit MGCplus weitergeht?

Kreuzer: Natürlich. Wenn hier eine neue MGCplus-Anlage aufgebaut wird, wie zum Beispiel eine Großanlage mit mehreren Tausend Messstellen für die Flugzeugindustrie, dann schaue ich immer mal vorbei und sehe sie mir an.

Manfred Kreuzer…

…arbeitete nach dem Studium drei Jahre als Entwicklungsingenieur im Labor für Studio-Farbkameras bei der Fernseh-GmbH in Darmstadt, bevor er 1968 zu HBM wechselte. Dort war er schon bald Leiter einer damals noch sehr kleinen Elektronikabteilung, die aber stetig größer wurde. 1988 übernahm er die Leitung der Elektronikentwicklung und 1992 dann die Leitung der gesamten Entwicklung von der Elektronik bis zur Wägezelle. Den Führungsposten hängte er 2005 mit 63 Jahren an den Nagel, um noch fünf Jahre als Senior-Technologe für optische Sensoren weiterzumachen. 2010 startete Manfred Kreuzer in den Ruhestand und widmete sich Hobbys wie der Digitalfotografie. Bis er 2016 doch wieder zu HBM zurückfand –  um für ein Projekt in der Entwicklung seine Erfahrung mit einzubringen.

Über die Produktentwicklung sagt er:

„Am Anfang steht ein gutes Konzept, das auf innovativen Ideen basiert. Bei der Ausführung zählt, dass der Entwurf und die Tests immer von theoretischen Überlegungen und Berechnungen geleitet werden.“

Herr Sander, Sie haben den neuen Kommunikationsprozessor CP52 für MGCplus mitentwickelt: Ein Schritt in die Zukunft von MGCplus. Wie ist das für Sie an einem solchen HBM-Flaggschiff zu arbeiten?

Tim Sander: Das ist schon eine Herausforderung. Dadurch, dass es das System schon so lange gibt, haben wir wahnsinnig viele Anwender im Feld. Für die müssen wir abwärtskompatibel bleiben. Gleichzeitig zeigen wir mit der Überarbeitung: Es geht weiter, wir halten das System aktuell.

CP52 ersetzt die beiden alten Kommunikationsprozessoren CP22 und CP42. Was wird er können?

Sander: Ein großes Feature ist die Synchronisation über Precision Time Protocol, also PTP. Das bedeutet: Egal, welchen Verstärker neben MGCplus ich im gleichen Messprojekt verwende – alle sind perfekt synchronisiert. Außerdem gibt es noch andere Verbesserungen, zum Beispiel lassen sich an CP52 jetzt 512 statt wie bisher maximal 256 Messkanäle anschließen. Die Messdaten können ab sofort auf USB gespeichert werden.

Synchronisation, Datenspeicherung auf USB… Ist das nicht heute schon selbstverständlich?

Sander: Selbstverständlich würde ich nicht sagen. Die PTP-Synchronisation bietet einen deutlichen Mehrwert und ist definitiv für Anwender ein Anreiz, CP52 zu wählen. Gleichzeitig hat Abwärtskompatibilität bei MGCplus einen hohen Stellenwert: Daher müssen wir darauf achten, dass zum Beispiel auch sehr alte Einsteckkarten noch funktionieren.

Tim Sander…

…ist seit 2008 Software-Entwickler für eingebettete Software bei HBM. Heute arbeitet er an MGCplus, davor beschäftigte er sich mit anderen Messverstärkern wie etwa PMX. Angefangen hat alles mit einem Informatikstudium und der wissenschaftlichen Mitarbeit an der Technischen Universität Darmstadt.

Über die Produktentwicklung sagt er:

„Es ist immer eine Abwägung: Zum einen wollen wir bewährte Technologien weiterführen, zum anderen nicht auf der Stelle treten. Die Herausforderung besteht darin, den richtigen Mittelweg zu finden.“

Da stellt sich die Frage, ob ein solches System überhaupt noch zeitgemäß ist.

Kreuzer: So ein System leidet ja meistens nicht darunter, dass der Markt es nicht mehr braucht, sondern darunter, dass bei einer so enorm langen Lebenszeit ein großer Pflegeaufwand entsteht. Vorschriften und Normen ändern sich, Bauteile sind nicht mehr verfügbar. Es sind oft nicht die Nutzer, die so ein Produkt abkündigen, sondern die Zulieferfirmen.

Sander: Ich denke, dass die langjährige Kompatibilität sogar einer der Gründe für den Erfolg von MGCplus ist. Sie setzt unserer Entwicklungsarbeit aber auch Grenzen: Eine technologische Revolution wie bei der Neuentwicklung damals ist heute eher unwahrscheinlich. Dafür investieren wir sehr viel in die Qualitätssicherung. Aber wir sehen auch: Die Leute wollen das System nach wie vor nutzen.

Kreuzer: Ein System wie MGCplus mit so vielen Komponenten ist extrem komplex. Wenn man alleine bedenkt, wie viele Aufnehmertypen sich anschließen lassen, vom Thermoelement bis zum Dehnungsmessstreifen. Ich glaube mit der Instandhaltung eines solchen Systems ist es ein bisschen wie beim Hausbau: Ein altes Haus von Grund auf zu sanieren ist manchmal schwieriger als nebendran ein neues zu bauen. Dennoch lohnt es sich, wenn die Bausubstanz stabil ist. In MGCplus steckt auch heute noch jede Menge Potenzial.

Es gibt massenweise Datenerfassungssysteme auf dem Markt, die meisten davon viel neuer als MGCplus. Was glauben Sie, warum die Anwender MGCplus trotzdem immer noch gerne nutzen?

Kreuzer: Das Produkt ist einfach gut! MGCplus ist in seiner Funktionalität und Kompaktheit bei vergleichsweise günstigem Preis kaum zu übertreffen und hat sich als Standard-Messsystem im Markt etabliert. Es hat gute Voraussetzungen, sich noch lange in der Messtechnikwelt zu behaupten. Das macht das System zu einer stabilen Basis für Investitionen.

Sander: Ich glaube, MGCplus vermittelt Vertrauen und Verlässlichkeit. Wir sind de facto seit 25 Jahren kompatibel. Das ist das eine. Zum anderen hat MGCplus immer noch ein „Gesicht“: Bedientasten direkt am Gerät, ein Display, das die Messwerte anzeigt. So können Nutzer gleich bei der Inbetriebnahme eine Bindung zum Gerät aufbauen und finden intuitiv einen Zugang dazu.

Und das in Zeiten von Smartphones!

Kreuzer: Ja, es ist erstaunlich. Die Leute wollen auch heute gerne noch etwas zum Anfassen.

Das kann aber nicht der einzige Grund sein für ein Vierteljahrhundert Lebensdauer, oder?

Kreuzer: Es ist auch wichtig, das Gesamtangebot von HBM zu betrachten: Bei Bedarf können wir eine ganze messtechnische Anlage, Hardware und Software, aus einer Hand liefern – und wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass sie funktioniert.

Sander: Die Nutzer bekommen alles, was sie für Ihre Aufgabe brauchen, vom Dehnungsmessstreifen bis zur Software.

Kreuzer: MGCplus ist eine Marke. Wenn man hier was kauft, weiß man, was man bekommt. Und man darf nicht vergessen, dass es eine ganze Weile dauert, bis Anwender ein System richtig gelernt haben. Gerade bei so einer riesigen Funktionalität. Sehr viele Messtechniker haben inzwischen Erfahrung mit dem System und das zahlt sich aus.

Mal eine kleine Schätzfrage an Sie beide: Was glauben Sie, wie oft MGCplus sich in diesen 27 Jahren verkauft hat?

Kreuzer: 40.000 Mal?

Sander: 25.000?

Nah dran: Es sind etwa 24.000 Geräte.

Kreuzer: Eine riesige Zahl, wenn ich daran denke, dass wir mit Stückzahlen von wenigen Hundert angefangen haben – und deswegen Probleme hatten, an Masken für unsere Schaltungen, die sogenannten Gate-Arrays, zu kommen. Die Hersteller wollten so kleine Mengen nicht produzieren. Da hat uns zum richtigen Zeitpunkt ein spezielles Einstiegsangebot gerettet.

Das klingt, als hatten Sie damals ein paar Startschwierigkeiten…

Kreuzer: Das ist am Anfang normal, denke ich. Immerhin haben wir auf einen Schlag etwas völlig Neues rausgebracht. Die Messverstärker waren bis dahin komplett analog. Vom Messbereich bis zum richtigen Filter hat man alles an Knöpfen per Hand eingestellt. Für jede dieser Funktionen war dahinter ein wuchtiges Bauteil zuständig. Und dann kamen wir mit dem digitalen MGC und einem eigens entwickelten Gate-Array. Messbereichseinstellung, Nullabgleich, 15 Filter – alles war mit nur einem Bauteil abgedeckt. Abgesehen davon, dass diese eine Schaltung natürlich viel weniger Energie braucht, ist sie auch wesentlich platzsparender. Und: Durch die Digitalisierung der Messwerte lässt es sich auf allen Kanälen simultan messen. Das war auch neu. Davor hatte man die Messwerte analog aufgenommen  und erst am Ende digital aufbereitet, um sie auf dem Display zu zeigen. Im MGC war alles komplett digital. Das alles hat es uns ermöglicht, nicht nur schnell, sondern auch genau zu messen. Damals gab es keine Technologie, die das vergleichbar hinbekommen hat.

Sander: Die Neuentwicklung war ein riesiger Wurf.  Aber am Beispiel der Gate-Arrays sieht man, wie sich das System auch gewandelt hat: Inzwischen werden neuere, wesentlich leistungsfähigere Bauteile verwendet.

Wenn wir schon von Wandel reden: Zusammen mit dem neuen Kommunikationsprozessor bekommt MGCplus ja auch eine neues Gehäuse mit frischer Optik. Wie wichtig ist das Aussehen für einen Messverstärker?

Sander: Ich persönlich finde die Optik erstmal zweitrangig. Der Fokus liegt darauf, dass der Verstärker den richtigen Messwert liefert. Dass die Bedienung einfach ist und das Gerät verlässlich. Die Funktion gibt die Richtung vor. Trotzdem freue ich mich auch über das neue Design: Es zeigt auch nach außen, dass sich etwas tut.

Wagen wir zum Abschluss noch einen Blick in die Zukunft: Wohin geht die Reise der Messtechnik, mal ganz abgesehen von MGCplus?

Sander: Wir als HBM werden verstärkt Lösungen für Cloud-Computing und Co parat halten müssen. Das ist eine ganz aktuelle Herausforderung.

Kreuzer: Und bei alledem vergessen wir nicht unsere Wurzeln und unsere Geschichte. Denn darauf bauen wir – auch in Zukunft.