Messungen an den Fundamenten von Offshore-Windkraftanlagen Messungen an den Fundamenten von Offshore-Windkraftanlagen | HBM

Siemens misst auf die Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen einwirkende Kräfte

Dehnungsmessstreifen und Datenerfassungsgeräte von HBM wurden in einem einzigartigen, im Windpark Westermeerwind, in den Niederlanden, durchgeführten Versuch eingesetzt, um den Dämpfungseffekt des Meeresbodens auf die auf Windkraftanlagen einwirkenden Kräfte zu untersuchen.

Um die Windenergie attraktiver zu machen als fossile Energie und auch aufgrund der Auswirkungen des Wettbewerbs, suchen Anbieter beim Bau von Offshore-Windparks nach neuen Wegen, die geforderten Megawatt so kostengünstig wie möglich zu liefern. Um dies zu erreichen, wurden in den letzten Jahren daher viele technische Innovationen im Bereich der Masten, Turbinen und Rotoren vorgestellt. Siemens Wind Power hat ein Projekt aufgesetzt, um einen tieferen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen dem Meeresboden und den Fundamenten der Windkraftanlage zu erhalten.

Dehnungsmessstreifen und Datenerfassungsgeräte von HBM wurden in einem einzigartigen, im Windpark Westermeerwind, in den Niederlanden, durchgeführten Versuch eingesetzt, um den Dämpfungseffekt des Meeresbodens auf die auf Windkraftanlagen einwirkenden Kräfte zu untersuchen. Das Ziel war es, zuverlässige Eingangsparameter für einen standardisierten Gestaltungsprozess der Fundamente von Windkraftanlagen zu erhalten.

Siemens Wind Power ist ein neues Unternehmen, das seit 1. Januar 2017 ein unabhängiger Teil der Siemens AG ist und in dem eine ganze Anzahl von Bereichen und Akquisitionen von Siemens zusammengeführt sind, die sich mit der Windenergie beschäftigen. Siemens Wind Power B.V. in den Niederlanden ist in der Zwischenzeit zu einem Unternehmen mit circa 120 Beschäftigten herangewachsen. Es verwaltet bestehende Windparks und übernimmt das technische und Projekt-Management beim Bau neuer Windparks.

Dank seiner Zusammenarbeit mit der TU Delft hat sich Siemens Wind Power in den Niederlanden allmählich zu einem Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Errichtung von Windkraftanlagen entwickelt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Berechnung von Lasten und Gestaltung von Masten und Fundamenten. Mit der Entwicklung und Fertigung der Windkraftanlagen beschäftigen sich vorrangig die dänischen Niederlassungen des Unternehmens.

Wettbewerb, Innovation und Preisdruck

„Über die letzten Jahrzehnte hat die Windenergie weltweit deutlich an Popularität gewonnen“, erläutert Jeroen Bongers von Siemens Wind Power, Niederlande. In den letzten 25 Jahren sind in den Niederlanden viele Windkraftanlagen und Windparks errichtet worden. Derzeit liefern in den Niederlanden Windkraftanlagen mehr als fünf Prozent der erzeugten Elektrizität und obwohl das Land im internationalen Vergleich noch deutlich zurückliegt, sind wir auf dem richtigen Weg. Im Jahr 2015 wurde der Windenergie im neuen niederländischen Energy Agreement ein wichtiger Platz eingeräumt. In den nächsten Jahren sollen insgesamt circa 4500 Megawatt vor der niederländischen Küste bei Borssele und IJmuiden installiert werden.“

Ein Nachteil des schnellen Wachstums ist Bongers zufolge der steigende Wettbewerb.

„Immer mehr Konsortien beteiligen sich an neuen Ausschreibungen, was bedeutet, dass die Preise unter Druck geraten. Das ist für die Regierung auf jeden Fall gut. Vor wenigen Jahren gingen wir noch von Durchschnittskosten von 100 Euro pro Megawatt im Jahr 2020 aus; diese sind bereits auf 73 Euro gefallen. Vattenfall hat in Dänemark einen neuen Windpark entwickelt, bei dem der Selbstkostenpreis bei weniger als 50 Euro pro Megawatt liegt. Das hochkarätige Konsortium Kennis en Innovatie Wind op Zee (TKI-WoZ) hat berechnet, dass bis 2020 eine Kostenreduzierung von 46 Prozent gegenüber dem Preisniveau von 2010 erreichbar ist. Dadurch würde die Windenergie zu einer wettbewerbsfähigen Energiequelle, die nicht länger subventioniert werden müsste.” Wettbewerb und Preisdruck stellen eine große Herausforderung für die Unternehmen dar, die die Kosten für Windkraftanlagen und Windparks senken müssen. Daher wird in diesem Bereich viel geforscht. Das hat bereits dazu geführt, dass sich die Leistung von Windkraftanlagen in gerade einmal fünf Jahren von 3,6 MW auf 8 MW mehr als verdoppelt hat. Dazu sagt Bongers:

 

"Ein aus 13 Windkraftanlagen mit jeweils 8 MW bestehender Windpark mit einer Leistung von 100 MW ist natürlich preislich viel attraktiver als einer mit 25 Windkraftanlagen, die jeweils 4 MW liefern."

Das Disstinct-Projekt

Auch Siemens Wind Power arbeitet intensiv an der Erforschung neuer Technologien und Konstruktionsarten für Windkraftanlagen. Das Projekt Disstinct zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem Meeresboden und den Fundamenten von Windkraftanlagen wurde 2014 gestartet. 

‘Disstinct’ steht für Dynamic Soil Structure Interaction (dynamische Wechselwirkungen zwischen Boden und Konstruktion). Neben Siemens und der TU Delft sind Unternehmen wie Fugro, Van Oord und DNV-GL ebenfalls am Projekt beteiligt.

„Wie Sie sich vorstellen können, kommt den Fundamenten von Windkraftanlagen eine besondere Bedeutung zu. Über den Rotor wirken enorme Kräfte auf den Mast. Im Falle von Offshore-Windkraftanlagen spielen neben dem Wind insbesondere Wellenkräfte eine Rolle“, erläutert Bongers, der auch Leiter des Projekts Disstinct ist.

„Die Eigenschwingungsfrequenz einer Installation ist bei der Gestaltung einer Tragkonstruktion von Bedeutung, da sie bestimmt, welche Kräfte aufgebracht werden können.

Es ist sehr wichtig, diese Frequenz korrekt vorherzusagen, der größte Unsicherheitsfaktor ist jedoch die Wechselwirkung zwischen der Konstruktion und dem Meeresboden.

Bei derzeitigen Konstruktionen wird die Steifigkeit des Bodens im Allgemeinen unterschätzt, mit dem Ergebnis, dass Konstruktionen konservativ berechnet und stärkere Fundamente gebaut werden und mehr Stahl eingesetzt wird. Die logische Konsequenz ist, dass der Preis der Windkraftanlage steigt, was wiederum in einem hoch kompetitiven Markt, der unter großem Preisdruck steht, unerwünscht ist.“

Versuch im Ijsselmeer

„Wir wissen viel über die statischen und dynamischen Kräfte, die auf Windkraftanlagen wirken, jedoch deutlich weniger über die Dämpfungswirkung des Meeresbodens“, erläutert Bongers. „Unsere Untersuchungen haben sich daher hauptsächlich auf die Rolle des Meeresbodens konzentriert. Grob gesagt nimmt ein steiferer Boden Kräfte besser auf als ein eher lockerer Boden.

Der Zustand des Meeresbodens ist deshalb ein wichtiger Ausgangspunkt für die Gestaltung von Windkraftanlagen und eine eingehende Bodenuntersuchung liefert bessere Eingangsparameter für die Gestaltung der Fundamente.

Diesen Zusammenhang wollten wir im Projekt Disstinct umreißen und validieren, und zwar nicht nur mit Computermodellen sondern auch in der Praxis. Dies haben wir beim Bau des Windparks Westermeerwind getan.“

Dieser Windpark liegt im IJsselmeer, entlang der Küste des Noordoostpolders, nördlich der Gemeinde Urk. Er erzeugt 144 MW, ausreichend für die Stromversorgung von 160.000 Familien. Die 48 Windkraftanlagen von Siemens sind in zwei Reihen in Abständen von 400 bis 500 Metern voneinander aufgestellt. Sie sind 95 Meter hoch und haben Rotoren mit 108 Meter Durchmesser. Sie stehen in 4 bis 7 Meter tiefem Wasser.

Siemens übernahm die Rolle des Generalunternehmers für den Windpark, der zusammen mit Van Oord, BM4Wind und VMBS gemäß einem Vertrag mit Westermeer Wind B.V errichtet wurde. Am 21. Juni 2016 wurde der Windpark offiziell durch Wirtschaftsminister Kamp eröffnet.

Fundamente mit Dehnungsmessstreifen

Für das Projekt Disstinct wurde eine gründliche Untersuchung einschließlich seismischer Prüfung des Meeresbodens des IJsselmeeres unterhalb des Windparks Westermeerwind durchgeführt. Die Stahlfundamente wurden auf Grundlage dieser Versuche konstruiert.

Die Monopiles haben einen Durchmesser von fünf Metern, wiegen mehr als zweihundert Tonnen und sind ungefähr 25 Meter tief in den Meeresboden eingerammt. Einer der Gründungspfähle wurde für diesen Versuch mit Messtechnik ausgestattet. An der Innenseite des Pfahls wurden auf sieben Ebenen jeweils vier Dehnungsmessstreifen in ringförmiger Anordnung angebracht, um die Dehnung im Stahl messen zu können.

Die Anzahl der Ringe wurde bewusst so groß gewählt, um sicherzustellen, dass die Dehnungsmessstreifen die gewünschten Informationen auch für den Fall liefern würden, dass einer oder mehrere Ringe ausfallen.

„Das Installieren der Sensoren war komplex“, erläutert Marc van den Biggelaar, einer der für die Installation von Dehnungsmessstreifen zertifizierten Ingenieure von HBM, North West Europe, der im Projekt mitarbeitet. „Ein Gründungspfahl ist ungefähr fünf Meter im Durchmesser, daher mussten wir mit einer Hubarbeitsbühne arbeiten, um uns darin zu bewegen. Die Techniker trugen den Arbeitsschutzvorschriften entsprechende Schutzausrüstung und arbeiteten mit speziellen Niederspannungsgeräten. Der Stahlpfahl musste geerdet werden, da er eine leitende Konstruktion darstellt.“

"Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Dehnungsmessstreifen anzubringen: Kleben oder Punktschweißen. Das Kleben erwies sich als für dieses Projekt einzige Option, da der Monopile bereits zertifiziert war."

Projektumsetzung

Dehnungsmessstreifen werden schon seit vielen Jahren aufgeklebt. Dabei werden spezielle Klebstoffe und besondere Klebetechniken eingesetzt, die abhängig von der Anwendung, dem Temperaturbereich und den Umgebungsbedingungen sind. Für das Projekt Disstinct, in dem die Dehnungsmessstreifen sich unter Wasser und sogar im Meeresboden befinden, wurde eine spezielle Art von Klebstoff und Abdeckmittel verwendet, um die DMS wasserfest zu machen.

Van den Biggelaar zufolge haben HBM-Ingenieure aus Skandinavien diese Technik schon oft angewendet, daher machte es Sinn, für das Projekt ein Spezialisten-Team aus Norwegen einzufliegen.

„Die Umgebungsbedingungen während der Arbeiten waren nicht ideal, was bedeutete, dass der Monopile vorgeheizt werden musste, damit Klebstoff und Abdeckmittel richtig aushärten konnten. Auch die Anschlusskabel mussten wasserfest sein. Um sie zusätzlich zu schützen, wurden sie in einen Kabelkanal gelegt, der von einem weiteren Unternehmen installiert und ebenfalls an den Monopile geklebt wurde. Ein interessanter, unvorhergesehener Zusatzeffekt war, dass die installierten Dehnungsmessstreifen uns die Möglichkeit gaben, das Verhalten des Gründungspfahls beim Einrammen zu überwachen. Letztendlich überstanden achtzig Prozent der Dehnungsmessstreifen das Einrammen des Pfahls – deutlich mehr als wir erwartet hatten. In den kommenden Jahren werden die Dehnungsmessstreifen noch viel mehr Daten liefern. In Norwegen gibt es ähnliche Messprojekte, die bereits seit 2003 laufen.“

Rüttler

Nach dem Einrammen des Monopiles in den Meeresboden wurde ein Rüttler daran angebracht. Das ist ein vibrierender Hammer mit Hydraulikantrieb, der dazu genutzt wird, eine Unwucht zu erzeugen, um die Kräfte des Turms und des Rotors zu simulieren und dadurch eine Vorstellung davon zu erhalten, wie sie auf die Fundamente wirken. IHC hat den Rüttler vorher auf einer Stahlbetondecke bei WMC in Wieringerwerf getestet und kalibriert. Mit speziellen, wasserfesten Kabeln wurden die DMS-Messstellen im Monopile an das Datenerfassungssystem MGCplus von HBM angeschlossen. Neigungsmesser und Beschleunigungssensoren wurden ebenfalls mit dem Datenerfassungssystem verbunden, das auf einem neben den Fundamenten verankerten Arbeitsschiff installiert war. Der Test mit dem Rüttler lief über drei Tage.

Nach dem Rüttlertest wurde der Messschrank mit dem HBM-System und der Software catman® dauerhaft in der Windkraftanlage untergebacht, um eine kontinuierliche Überwachung über mehrere Jahre zu ermöglichen. Der Schrank ist mit einem Industrie-PC und einer Notstromversorgung ausgestattet, sodass auch im Falle eines Stromausfalls keine Daten verloren gehen. Die bestehenden Messstellen wurden um weitere DMS-Messstellen ergänzt, wobei sich ein Ring mit vier Messstellen im Turm in einer Höhe von 37 Metern befindet. Siemens hat den PC an sein internes Netzwerk angeschlossen, sodass die Daten aus der Ferne abgefragt werden können.

Ergebnisse

„Anhand der vollständigen Daten einer ganzen Windkraftanlage herauszuarbeiten wie sich der Meeresboden verhält, ist in der Regel heikel, war jedoch in diesem Versuch mit den Fundamenten nicht erforderlich. Das Experiment hat uns einen sehr interessanten Datensatz geliefert“, sagt Bongers.

Bongers zufolge kann das Team, obwohl es noch mit den Analysen beschäftigt ist, bereits den Schluss ziehen, dass die Annahme richtig war. Der Boden verhielt sich steifer als erwartet und mit einer sachgemäßen Bodenuntersuchung konnte man der erforderlichen Steifigkeit um den Faktor 4 oder 5 näher kommen. Das bedeutete, dass in einigen Fällen deutlich leichtere Fundamente ausreichend wären und die Kosten entsprechend gesenkt werden könnten. 

„Wir sind sehr glücklich, dass wir die Gelegenheit hatten, diesen Versuch durchzuführen“, sagt Bongers. „Alle Beteiligten haben ihre eigenen Interessen zurückgestellt, trotz des Zeitdrucks, der Kosten und der Gefahren, das ist wirklich anerkennenswert. Die Ergebnisse der Untersuchung, die einige Wissenschaftler dieses Jahr in ihren Abschlussarbeiten veröffentlichen werden, können von großem Vorteil für die zukünftige Entwicklung von Windparks sein.

 

Wir möchten alle diese Daten nutzen, um ein Gestaltungsmodell zu entwickeln, das von DNV-GL zertifiziert und dadurch zu einer Art Standard oder Referenz für die Gestaltung von Offshore-Windkraftanlagen werden kann.

In der Folge werden zukünftig mehr eingehende Bodenuntersuchungen an Standorten für Windkraftanlagen durchgeführt werden als dies jetzt der Fall ist. Es handelt sich hierbei nur um eine kleine Zusatzinvestition, die jedoch schnell wieder hereingeholt werden kann, da die Fundamente und der Mast leichter und daher kostengünstiger sein werden.“