Interview: Trends in der Kraftmesstechnik Interview: Trends in der Kraftmesstechnik | HBM

Kraftsensoren heute, morgen und übermorgen: HBM-Experten im Gespräch

Im Jahr 2020 hat HBM viele Neuerungen im Bereich Kraftmesstechnik, wie z.B. den flexibel einsetzbaren Messring KMR+ oder den Ultraminiaturaufnehmer C11, auf den Markt gebracht. Dazu kommt eine zunehmende „Elektrifizierung“ des Portfolios, die mit der Verfügbarkeit von C9C- und U9C-Aufnehmern als aktive Sensoren mit fest angeschlossenem Inline-Verstärker begonnen hat und nun weitergeführt werden soll.

Im Interview verraten uns die Kraftmesstechnik-Experten Thomas Kleckers und Markus Gräf, wie sie die Zukunft des Marktes einschätzen, und was sie dafür tun, dass HBM langfristig einer der dominierenden Player im globalen Wettbewerb bleibt.

Ist Kraftmesstechnik krisenfest und kann langfristig bestehen?

[Markus Gräf] Kraftaufnehmer werden in vielfältigen Applikationen und Märkten eingesetzt, was von uns eine große Flexibilität hinsichtlich der Einsetzbarkeit der Produkte erfordert. Wir müssen sehr viele Rahmenbedingungen beachten, damit unsere Sensoren in den ganz verschiedenen Anwendungen immer die erwartete Leistung bringen, aber insgesamt und langfristig sehen wir das als Vorteil.

[Thomas Kleckers] Durch die Nutzung der Sensoren in Forschung und Entwicklung, Produktionsüberwachung oder auch als Referenzaufnehmer, können Schwankungen in einzelnen Bereichen kompensiert werden. Diese breite Aufstellung macht Kraftsensorik zu einem Zukunftsmarkt. Die Anzahl der erforderlichen Sensoren wird in Zukunft steigen, weil moderne Produktionsmethoden – Stichwort Industrie 4.0. – wesentlich mehr Informationen benötigen und die Steuerungen ohne Sensoren blind sind. Im Bereich Testing sehen wir ebenfalls einen wachsenden Markt, da auch hier immer mehr Sensoren zum Einsatz kommen.

Was sind weitere Trends, die ihr als wichtig erachtet?

[Thomas Kleckers] Schon seit längerem besteht die Tendenz zu immer mehr Genauigkeit. So erweitert sich der mögliche Messbereich, und es werden beispielsweise statt 4 nur 2 Sensoren benötigt, um Kräfte zwischen 50 kN du 5 MN abzudecken. Außerdem können mehr Tests ohne einen zeitaufwändigen Umbau des Teststands durchgeführt werden, und eine präzisere Prozessüberwachung führt zu weniger Ausschuss. Präzision ist also kein Selbstzweck, sondern durchaus auch ein wirtschaftlicher Vorteil für unsere Anwender. 

Dazu fordern Kunden Flexibilität in der Bestellung und Ausführung: Kraftmessdosen müssen anpassungsfähig sein und sollten ohne größeren Aufwand [wie Lötarbeiten] einsatzfähig sein. Eine weitere Entwicklung der letzten Jahre ist die Nachfrage nach robusten Kraftsensoren, die verschiedensten Umgebungsbedingungen trotzen und überall zuverlässige Messergebnisse liefern. Das gilt nicht nur für Feuchtigkeit oder größere Temperaturunterschiede; die Beständigkeit gegenüber Schocks und Vibration ist ebenfalls extrem wichtig geworden. Und wir beobachten, dass Nutzer Interesse an immer kleineren Sensoren haben. Gleichzeitig bestehen aber hohe Ansprüche an die Performance dieser Miniaturaufnehmer. Insgesamt wachsen die Ansprüche. Wir sehen uns bei HBM sehr gut gerüstet, da wir alle notwendigen Prüfeinrichtungen für Schock- und Vibrationstests, aber auch ein akkreditiertes Labor für elektromagnetische Verträglichkeit im Hause haben, mit dem Vorteil des direkten Zugriffs für unsere Entwicklungsingenieure.

Markus Gräf

Teamleiter der Entwicklungsabteilung Kraftsensoren

Markus Gräf ist Maschinenbauingenieur und seit 2009 bei HBK tätig. Zu Beginn seiner Laufbahn entwickelte er kundenspezifische Kraftaufnehmer. Seit 2013 leitet er das Entwicklungsteam für Kraft-, Druck-, Weg- und Dehnungsaufnehmer und entwickelt auch weiterhin Kraftaufnehmer.

Thomas Kleckers

Produktmanager Kraftsensoren

Thomas Kleckers arbeitet seit 1992 bei HBK. Nach seiner Zeit als Entwicklungsingenieur für Dehnungsmessstreifen hat er 2009 die Produktverantwortung für die Kraftsensoren übernommen.

Wie erkennt ihr, wo sich der Markt hinbewegt?

[Markus Gräf] Aufgrund der vielfältigen Einsatzbereiche, gibt es nicht den einen Markt oder Trend, der für alle passt und auf den wir hinarbeiten. Deswegen verfolgen wir verschiedene Ansatzpunkte. Eine Roadmap gibt den Rahmen vor, sie wird aber beim Abarbeiten mehrfach angepasst. Der Input für die Roadmap kommt aus einer Mischung von Kundenfeedback, Vertrieb, Marktrecherchen und Ideen, die in internen Gesprächen entstanden sind. Wichtig sind aber vor allem Beobachtungen in der Anwendung und der Dialog mit den Nutzern.

[Thomas Kleckers] Man muss verstehen, was die Kunden mit den Kraftmessdosen machen, dann versteht man auch, wie das passende Produkt aussehen muss. Wir denken also von der Aufgabenstellung unserer Kunden als Startpunkt hin zum Produkt. 

Gab es in eurer Zeit eine Fehleinschätzung und die damit verbundene Entwicklung eines Flops?

[beide] Nein.

[Thomas Kleckers] Natürlich gab es auch Ansätze, die wieder verworfen wurden, aber wir haben kein Produkt (in der Kraftmesstechnik) entwickelt, das sich als Misserfolg herausgestellt hat. Das Team kontrolliert sich gegenseitig, und ab dem Zeitpunkt, wo ein Projekt einen gewissen Status erreicht hat, spielt auch Kundenfeedback eine große Rolle.

[Markus Gräf] Schlüsselkunden sind an der Entwicklung größerer Projekte beteiligt und integrieren unsere Produkte schon vor dem offiziellen Release in ihre Anwendungen. Sind sie unzufrieden, hilft uns das, unsere Kraftaufnehmer von Anfang an besser zu machen.

Wie erreicht ihr kurze Entwicklungszeiten und eine möglichst schnelle Markteinführung?

[Markus Gräf] Wir arbeiten in einem bewährten Team von Entwicklern, in dem jeder klare Stärken hat, die er einbringt. Interne Probleme wurden in den letzten Jahren systematisch erfasst und beseitigt. Die Verzahnung von Entwicklung und Produktion haben wir auch enorm verbessert, deswegen können wir neue Serien mittlerweile wesentlich schneller aufbauen, teilweise fallen Produktions- und Verkaufsfreigabe zeitlich zusammen.

[Thomas Kleckers] Für schnelle Abläufe ist hilfreich, dass Entwicklung, Produktion, Tests und Kalibrierung zentral an einem Ort, nämlich hier in Darmstadt, stattfinden. Wir profitieren auch von der abteilungsübergreifenden Nutzung von Komponenten wie DMS, Leiterplatten oder Federkörpern, aber am meisten hat sich unser Baukastensystem bewährt. Das erlaubt es uns, neue Entwicklungen auf andere Produkte im Portfolio auszuweiten. Diese Systematik bietet dem Kunden verschiedene Optionen und bessere Qualität zur gleichen Lieferzeit, und spiegelt sich auch in den Teilenummern wider. Das Baukastensystem beschleunigt also nicht nur die Produktion und Entwicklung, sondern ist auch kundenfreundlich.

[Markus Gräf] Das ideale Portfolio zeichnet sich nicht durch eine hohe Anzahl an Teilenummern aus. Stattdessen sollte es schlank, aber multifunktional gehalten werden. Ziel ist, dass der Kunde möglichst einfach verschiedene Applikationen abdecken kann.

Kundenfreundlichkeit ist mittlerweile ähnlich wichtig wie technische Innovation. Was tut ihr hier noch?

[Thomas Kleckers] Da Testingenieure, wie bereits erwähnt, mit immer mehr Sensoren zurechtkommen müssen, bieten wir vielfältige Konfigurationsmöglichkeiten, das passende Zubehör und verschiedene Plug- und Play-Lösungen, um den Installationsaufwand und die Inbetriebnahme überschaubar zu halten. Mit TEDS entfällt das Einstellen des Verstärkermoduls. Standardisierte Schnittstellen – auch über den Kraftbereich hinaus – werden ebenfalls immer wichtiger. Außerdem denken wir voraus und führen zahlreiche Tests durch, damit es in der Anwendung nicht zum Unglück kommt. Zusammenfassend: Wir bemühen uns um zuverlässige Aufnehmer und deren präzise Beschreibung. Sollte der Kunde trotzdem Probleme haben, den passendsten Sensor zu finden, hilft der Vertrieb gerne weiter.

[Markus Gräf] Bei Kundenproblemen werden gerne auch andere Teams miteinbezogen, um eine schnelle Lösung zu liefern. Wir versuchen keinen Kunden hängen zu lassen!

Wie testet ihr eure Kraftsensoren, um Kunden eine gewisse Qualität garantieren zu können?

[Thomas Kleckers] Wichtige Kenngrößen, wie TKNull, Biegemoment, Hysterese oder Kennwert, werden bei allen Kraftaufnehmern getestet. Andere Dinge lassen eine hundertprozentige Prüfung nicht zu, hier verwenden wir sorgfältige Typprüfungen sowie sichere Prozesse.

[Markus Gräf] Die Kunst ist es zu wissen, welche Merkmale zu 100% geprüft werden müssen, und die Produktionstests – auch mit Blick auf die Kosten – darauf abzustimmen. Unsere Prozesse sind so optimiert, dass der Testbedarf kostenoptimiert ist, ohne Abstriche bei der Zuverlässigkeit oder gar bei der Einhaltung unserer Angaben in den technischen Datenblättern zu machen. Da schauen wir wirklich genau hin. Die Qualitätsabteilung konzentriert sich außerdem bewusst auf Dinge, die in der Entwicklung nicht ganz so glatt gelaufen sind.

[Thomas Kleckers] Wir wissen, was wir testen müssen. In der Praxis stimmt das Ergebnis – Der Kunde bekommt absolut verlässliche Datenblätter, die nicht zu viel versprechen. Bei richtiger Nutzung sind HBM-Kraftmessdosen jahrzehntelang problemlos und ohne Reparaturbedarf im Einsatz, was sich langfristig auch wirtschaftlich rentiert.

... zum Schluss:

Thomas Kleckers mag selbstverständlich das gesamte HBK-Portfolio an Kraftaufnehmern. Wenn er einen Favoriten nennen muss, wäre das die U10M, weil der äußerst präzise Aufnehmer gleichzeitig auch „nicht zimperlich“ ist. Auf Platz zwei folgen die Miniaturkraftaufnehmer U9C und C9C, weil sie Zuverlässigkeit und wenig Platzbedarf vereinen.

Markus Gräf hat sich nur für dieses Gespräch eine kleine Auszeit aus der Elternzeit genommen. Als Entwickler bevorzugt er die Referenzaufnehmer, knifflige Entwicklungsaufgaben, sowie die übergreifenden Strategieentwicklungen mit Thomas Kleckers.